Liebe Kinder, lb. Gemeinde!
I. Das Taschenmesser
Meinen Drittklässlern hatte ich die Hausaufgabe aufgegeben: Bringt das nächste Mal etwas mit, das euch besonders kostbar ist. Und sie brachten so mancherlei mit, z. B.
- ein Poesiealbum mit einem Eintrag von der Tante aus Amerika vom letzten Besuch;
- einen lädierter Teddybär, der noch von Oma stammte;
- eine CD, die sich eine hatte wünschen dürfen usw.
Da zieht ein Bub ein Taschenmesser aus der Hose, zeigt es der Klasse voller Stolz und erzählt: "Das ist das Kostbarste, das ich habe! Denn das habe ich von meinem Vater bekommen!" Und der ist vor einem halben Jahr gestorben. Natürlich eine kostbare Erinnerung.
Lb. Erwachsene, solche Erfahrungen sind Ihnen/uns allen ja nicht fremd:
- Da ist noch ein vergilbte Brief von der Mutter, den sie mir vor Jahrzehnten geschrieben hat;
- da ist die Uhr, die der Großvater schon getragen hat;
- da ist das Foto eines Kindes, das schon so früh sterben musste...
Es zeigt sich: Mögen diese Dinge nach außen oft so ganz unscheinbar sein, für Fremde wertlos, so sind sie für uns selber dennoch kostbar, denn mit ihnen verbinden sich kostbare Erinnerungen. Durch sie werden aus der Vergangenheit Geschichten und Gesichter hereingeholt in die Gegenwart, weil durch sie etwas wieder ganz lebendig wird.
II. Kostbares Andenken
In unserer Kirche geschieht so etwas Ähnliches. Wir bewahren da etwas auf, das uns ganz kostbar ist, weil es von einem Menschen stammt, der für uns und unsere Pfarrei ganz wichtig ist.
Was kann uns denn alles an einen Menschen erinnern? (Meldungen)
- ein Foto? Aber damals hat es noch keine Fotoapparate gegeben...
- vielleicht ein Kleidungsstück, das jener Mensch getragen hat...
- Vielleicht ist es auch nur ein Tisch, an dem er gearbeitet und gebetet hat;
- oder ein Buch, in dem er gerne gelesen hat.
Hier drinnen haben wir etwas Besonderes: Wir haben ein kleines Stückchen von einem Menschen, der unserer Pfarrei den Namen gegeben hat, von unserem Pfarrpatron. Hier ist ein Stückchen von seinem Arm, ein Stück Knochen, das ganz kostbar verpackt in diesem schönen Gefäß steckt. Wir nennen so etwas "Reliquie", das heißt auf deutsch: Etwas, das uns von diesem Menschen noch "übrig geblieben" ist. Es stammt von einem, den viele Menschen über Jahrhunderte als Heiligen verehrt haben, von dem unsere Kirche sogar ihren Namen hat: (Ihr wisst, wie er heißt?) von Jodok (in Frankreich spricht man ihn anders aus: St. Josse).
Bei dieser Reliquie gilt das Gleiche wie bei den Sachen, die die Schüler damals mitgebracht haben: Wie z. B. bei dem Taschenmesse Robert sich an den Vater wieder ganz lebendig erinnern kann, so wird für uns mit diesen Reliquien unser Pfarrpatron St. Jodok für uns wieder ganz lebendig. Es ist ja "hier und jetzt" wirklich etwas da von diesem Menschen, der vor so langer Zeit gelebt hat (und schon 669 gestorben ist). Wir fühlen uns diesem Menschen viel näher, als wenn wir nur in einem Buch von ihm lesen würden.
III. Translatio
Vor bald 700 Jahren (1335) lässt Herzog Heinrich XIV. den Stadtteil anlegen und und stiftet für die neue Kirche eine Reliquie Jodoks. Vielleicht hat sie sogar schon sein Onkel Ludwig d. Bayer (ein späterer dt. Kaiser) aus Frankreich mitgebracht. Der ist nämlich ein paar Jahre vorher nach seinem Sieg über Friedrich d. Schönen aus Österreich zum Dank ans Grab des hl. Jodok gepilgert. Er hat seinen Neffen Herzog Heinrich zugeredet, für diesen Heiligen diese Kirche zu bauen. (Eigentlich ist also Jodok "schuld" an unserer Kirche!), Mitte Oktober (genau am 15. Oktober!) wurde sie feierlich hierher in die Kirche übertragen. Deswegen feiern wir Mitte Oktober nicht nur Kirchweih, den Geburtstag der Kirche, sondern auch gleich den Namenstag. Ja, von diesem Heiligen, der drüben in Frankreich gelebt hat, ist wirklich ein kleines Stückchen hier ganz nahe bei uns. Da ist wirklich etwas von ihm in unserer Mitte!
IV. Radikaler Weg
Vielleicht hat unser Herzog Heinrich von Landshut ein Herz gehabt für diesen heiligen Jodok, weil der so etwas ähnliches war wie er selber: Jodok war ja auch ein Herzog, war Sohn eines kleinen Königs in der französischen Bretagne. Er wollte Gott näher kommen und ist deshalb von zu Hause weg. Ganz anders als ein reicher Herzog lebte er in einer kleinen Hütte, in einer Klause draußen im Wald, wo er Gott ganz nahe kommen wollte. Gegen Ende seines Lebens pilgerte er ´noch nach Rom. Deswegen wurde er im Mittelalter zum Patron/Beschützer der Pilger. Und wenn eine Krone (und manchmal auch noch ein Zepter) zu seinen Füßen liegen, zeigt das nur, dass er genau darauf verzichtet hat. An seiner letzten Klause entsteht ein kleines Kloster, wo man Jodok von Anfang an als Heiligen verehrt.
V. Ermutigung
Reliquien daheim oder in der Kirche sind kostbare Erinnerungen. Sie können äußerlich ganz unscheinbar sein, für Fremde wie wertloses Zeug. Dass sie kostbar sind, sieht man nur mit den Augen des Herzens. Wir freuen uns, dass in der Reliquie uns unser Pfarrpatron ganz nahe ist. Wir sind dankbar, weil wir darauf vertrauen, dass er jeden von uns und unsere Pfarrei, die seinen Namen trägt, auf unseren Wegen begleitet.
Übrigens:Diese Reliquie/dieses Stückchen Knochen war früher ein ganzes Stück größer. Andere Jodokspfarreien haben uns gebettelt, ob sie nicht auch ein Stückchen davon bekommen könnten. Und deswegen haben wir geteilt: 1917 hat die Pfarrei Tännesberg ein Stückchen davon erhalten. Dort ist jedes Jahr Ende Juli eine große Pfarredewallfahrt, der "Jodok-Ritt".1988 hat eine Abordnung der Pfarrei Ravensburg (ganz nahe am Bodensee) ein Stückchen bekommen, das dort der Bischof dann ganz feierlich in die Kirche übertragen hat.A. Rössler